Selahattin Demirtaş
Selahattin Demirtaş, ein prominenter kurdischer Politiker und ehemaliger Co-Vorsitzender der Demokratischen Partei der Völker (HDP), wurde aufgrund seiner politischen Tätigkeiten mehrfach strafrechtlich verfolgt und inhaftiert. Seine Haft und die rechtlichen Verfahren gegen ihn haben international für Aufmerksamkeit und Kritik gesorgt.
Strafverfahren und Verurteilungen
Im Januar 2018 wurde Selahattin Demirtaş zu einer Geldstrafe von 15.000 Türkischen Lira verurteilt. Der Grund war eine vermeintliche Beleidigung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, den er als Dieb bezeichnet hatte. Diese Äußerung bezog sich auf Vorwürfe der Korruption gegen Erdoğan und Mitglieder seiner Familie.
Am 20. Februar 2018 erhielt Demirtaş eine Haftstrafe von fünf Monaten, da er angeblich die Republik Türkei, die türkische Nation sowie staatliche Institutionen beleidigt hatte. Im September 2018 wurde er für eine Rede aus dem Jahr 2013 wegen angeblicher Terrorpropaganda zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt.
Am 20. November 2018 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dass Demirtaş aus der Untersuchungshaft entlassen werden müsse. Die Richter argumentierten, die Verhaftung stelle einen unrechtmäßigen Eingriff in die Meinungsfreiheit dar und verhindere, dass Demirtaş sein Mandat als Abgeordneter wahrnehmen könne. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bezeichnete das Urteil als nicht bindend für die Türkei. Kurz darauf wurde die Verurteilung von September 2018 in zweiter Instanz bestätigt, womit Demirtaş offiziell nicht mehr Untersuchungshäftling, sondern verurteilter Gefangener war.
Urteil der Großen Kammer des EGMR
Am 22. Dezember 2020 entschied die Große Kammer des EGMR erneut, dass Demirtaş unverzüglich freizulassen sei. Das Gericht stellte fest, dass seine Rechte in fünf Bereichen verletzt wurden, darunter das Recht auf Freiheit und Sicherheit sowie das Recht auf freie Meinungsäu00dferung. Zudem sprach der EGMR ihm Entschädigungen in Höhe von 60.400 Euro zu. Trotz der Verpflichtung der Türkei, als Mitglied des Europarats EGMR-Urteile umzusetzen, blieb Demirtaş weiterhin in Haft. Erdoğan kritisierte das Urteil scharf und warf dem Gericht vor, eine politisch motivierte Sonderregelung für Demirtaş eingeführt zu haben.
Neue Anklagen
2022 wurde eine weitere Anklage gegen Demirtaş erhoben. Grund war ein Twitter-Beitrag aus dem Jahr 2013, in dem er den kurdischen Ausdruck „Bijî Serok Apo“ (Deutsch: „Hoch lebe Führer Apo!“) verwendet hatte. Dieser Ausdruck bezieht sich auf Abdullah Öcalan, den inhaftierten Anführer der PKK. Die Staatsanwaltschaft forderte eine Gefängnisstrafe von ein bis fünf Jahren.
Im Mai 2024 wurde Demirtaş Berichten zufolge zu 42 Jahren Haft verurteilt, ein weiteres Beispiel für die Härte, mit der die türkische Justiz gegen ihn vorgeht.
Literarisches Werk
Während seiner Untersuchungshaft in Edirne schrieb Selahattin Demirtaş zwölf Kurzgeschichten. Diese beleuchten die Lebensrealitäten einfacher Menschen und kontrastierende Lebenswelten. Sein Buch „Morgengrauen“ (Özginal: „Seher“) erschien 2018 auf Deutsch im Penguin Verlag. Der Schriftsteller und Journalist Günter Wallraff bezeichnete das Werk als „erstaunliches literarisches Debüt“. Eva Krafczyk schrieb: „Demirtaş ist im Gefängnis Schriftsteller geworden und hat sich mit Worten Freiräume geschaffen.“ Der Band ist von der Beobachtungsgabe des Autors und dem Verzicht auf anklagenden Pathos geprägt.
Das deutsche PEN-Zentrum ernannte Selahattin Demirtaş am 4. Dezember 2018 zu seinem Ehrenmitglied. 2019 erschien sein zweites Buch „Devran“.
Veröffentlichungen
- Morgengrauen. Storys. Übersetzt von Gerhard Meier. Penguin Verlag, München 2018, ISBN 978-3-328-60061-9.
Selahattin Demirtaş bleibt eine zentrale Figur im Kampf für Menschenrechte und politische Freiheit in der Türkei. Trotz seiner Inhaftierung und der massiven Repression gegen ihn hat er durch seine literarische Tätigkeit und seinen unerschütterlichen Einsatz für Demokratie internationale Anerkennung gefunden.